Realität und Fiktion

Mordswald ist ein Roman, und als solcher ist er von vorne bis hinten ausgedacht. Keine der handelnden Personen ist mir persönlich bekannt, und die Geschichte beruht auch nicht auf einer wahren Begebenheit.

Trotzdem orientiert sich der Roman natürlich an der Realität, schließlich habe ich einen Krimi und keinen Fantasyroman geschrieben. Die Stadt Hamburg existiert wirklich, das Niendorfer Gehege gibt es, das Grindelviertel, das Polizeipräsidium steht tatsächlich am Bruno-Georges-Platz. Ob sich allerdings die Vernehmungszimmer tatsächlich im Keller und die Büros der Mordermittlungsgruppe 3 im fünften Stock befinden, weiß ich nicht. Vermutlich hätte ich es herausfinden können, indem ich irgendeinen Blödsinn anstelle, um mich verhaften zu lassen (damit ich später authentisch darüber schreiben kann) oder indem ich die Pressestelle der Hamburger Polizei anrufe, die freundlicherweise einen Kollegen extra dafür abgestellt haben, um Fragen von Krimiautoren zu beantworten.

Die Frage ist allerdings: Wie wichtig ist es, eine Geschichte bis ins letzte Detail mit der Realität abzugleichen? Ist es für den Verlauf der Geschichte wichtig, ob die Vernehmungszimmer im Keller oder im 4. Stock liegen? Für meine Geschichte war es nicht wichtig, also habe ich darauf verzichtet, straffällig zu werden oder arme Polizisten mit albernen Fragen zu nerven.

Andere Details, die vielleicht wie konstruiert wirken, entsprechen dagegen tatsächlich der Realität. Als ich den Roman das zweite Mal schrieb, brauchte ich eine Figur , die sich im Niendorfer Gehege gut auskennt und, zumindest zum Zeitraum der Handlung, häufig dort ist. Der Förster kam aus irgendwelchen Gründen nicht in Frage, aber siehe da: Nach einigem Recherchieren und Telefonieren stellte sich heraus, dass tatsächlich just in dieser Zeit ein Biologe im Auftrag des Bezirksamts Eimsbüttel das kleine Waldstück kartierte. Perfekt!

Eine weitere Kuriosität, die ich der Realität entnommen habe, ist die Geschichte des Forsthauses im NIendorfer Gehege. Sie erinnern sich: Eigentlich herrscht in Deutschland für Förster Residenzpflicht, aber im Niendorfer Gehege ließ sich das leider nicht umsetzen, da das Forsthaus anderweitig vermietet – und untervermietet – worden war. Im Hamburger Abendblatt wurde zuletzt im Juli 2012 darüber berichtet.

Dankend erwähnen möchte ich an dieser Stelle Herrn Professor Daduna von der Universität Hamburg, der mir einen “mathematischen Satz” schenkte. Ich brauchte die, für Laien völlig unverständliche, Beschreibung eines Mathematikers, womit er sich beruflich beschäftigt.

Ich dachte mir folgenden Satz aus:

Ich beschäftige mich mit der intrakomplexen Spezifikation von Datenverdichtung im Zusammenhang mit systemzyklischen Extrapolationsgleichungen.

Klingt zwar schön, ist aber totaler Blödsinn.

Herr Professor Daduna wandelte den Satz dann leicht ab:

Ich beschäftige mich mit der partiellen Stabilisierbarkeit hochdimensionaler nicht-ergodischer Markovscher Netzwerkprozesse, die natürlich asymptotisch nicht gegen ein globales Äquilibrium konvergieren können. Die wichtige Fragestellung ist, ob in der raum-zeitlichen Dynamik marginale, also lokale, quasi-stationäre Verteilungen existieren, falls diese lokalen Prozesse für t gegen Unendlich gegen ein Wahrscheinlichkeitsmaß konvergieren. Das hat viele Bezüge zur Leistungsanalyse komplexer Systeme in der Informatik.

 

Und da sage noch einmal einer, Mathematik sei nicht poetisch!