Ein USA-Thriller

Wie bin ich als deutsche Autorin auf die Idee gekommen, einen Roman zu schreiben, der größtenteils in den USA spielt?
Aus verschiedenen Gründen:

In Deutschland gibt es keine Todesstrafe.

In den USA ist es relativ leicht, einem anderen Menschen die Identität zu stehlen.

Deutschland kommt mir, im Vergleich zu den USA, viel zu eng und zu “voll” vor.

Die Waffenverliebtheit der Amerikaner. (Nun ja, vielleicht nicht aller Amerikaner)

Alles in allem hatte ich das Gefühl, diese Geschichte könne nur in den USA spielen. Zwar ist spätestens seit “Tschick” von Wolfgang Herrndorf bewiesen, dass Roadmovies auch in Deutschland funktionieren, aber trotzdem … “Special Agent Dan Mullen” klingt einfach cooler als “Hauptkommissar XY”. Selbst wenn er Horst Schimanski heißt.

Mein Wissen über die USA habe ich mir allerdings nicht bei einem – längeren oder kürzeren – Aufenthalt dort angeeigent, sondern durch Filme und Bücher. Das einsame Motel in der Wüste von Texas … in wie vielen Filmen mag es vorkommen? (Ich persönlich dachte dabei an “Out of Rosenheim”, auch wenn im Bagdad-Motel deutlich mehr los ist als in meinem namenlosen Motel im 1. Kapitel.) Der “Yellow-Brick-Lauf” in Quantico ist einem breiten Publikum aus der Eingangsszene von “Das Schweigen der Lämmer” bekannt, wenn auch vielleicht nicht unter diesem Namen. Überhaupt die Arbeit des FBI … Wir alle haben Bilder im Kopf, wie das FBI arbeitet, wie die Ermittler vorgehen, wie die Büros eingerichtet sind: Ein Großraumbüro für die Mitarbeiter, der Chef sitzt im Glaskasten. Entsprechen diese Bilder der Realität? Vermutlich ungefähr in dem Maße, in dem eine Tatort-Folge den bundesdeutschen Polizeialltag wiederspiegelt. Das Wichtigste jedoch ist, dass diese Bilder funktionieren: Ich schreibe “Großraumbüro” und “Glaskasten”, und Sie haben sofort ein bestimmtes Bild im Kopf (Sehen Sie auch diese schiefen Jalousien an den Fenstern zum Großraumbüro?). Dabei wette ich, dass die wenigsten von Ihnen je ein amerikanisches Großraumbüro von innen gesehen haben – außer im Film, versteht sich.

Zu meinem Verständnis des american way of life haben jedoch vor allem die Bücher der US-amerikanischen Autorinnen und Autoren beigetragen, die ich übersetzt habe. Kleine Unterschiede im alltäglichen Leben, die einem als Leser oder als Zuschauer beim Film leicht entgehen oder die man mit einem Achselzucken hinnimmt, werden beim Übersetzen genau seziert und hinterfragt.

Hinter jeder Übersetzung stecken mehrere Stunden Recherche zum (kulturellen) Hintergrundwissen, die mir beim Schreiben von Berechnung zugute kamen. Die Herausforderung für mich war, den Teil des Thrillers, der in den USA spielt, “typisch amerikanisch” klingen zu lassen. Ein einfacher Trick: Die Amerikaner öfter mal “O mein Gott” sagen zu lassen. Wo wir im Deutschen spontan vielleicht “Au weia” oder “Ach du Scheiße” sagen, kommt in Amerika eher ein “O my God” oder “O Jesus”. Bei Übersetzungen werden diese religiös eingefärbten Redewendungen zumeist den deutschen Gewohnheiten angepasst.

Ein weiterer, recht einfacher, Trick ist, Redewendungen mit Bezug auf Baseball statt auf Fußball zu benutzen – eine Falle beim Übersetzen, die mich regelmäßig zur Verzweiflung treibt. “To hit a homerun” z.B. lässt sich ganz gut mit “einen Treffer landen” übersetzen – auch wenn ich bis heute nicht genau weiß, was ein Homerun eigentlich ist. Wenn ich jetzt aber ganz besonders betonen möchte, das der Sprecher Amerikaner ist, lasse ich ihn natürlich vom Homerun reden statt von einem Treffer. (Noch schlimmer als Baseball ist übrigens Cricket, aber damit wird es dann eher britisch …) Doch ehe Sie jetzt anfangen zu suchen: Ich habe in meinem Thriller keine Baseball-Redewendung eingebaut – genausowenig, wie das Wort “Fußball” darin auftaucht.

Auch viele andere Details in Berechnung kannte ich vielleicht schon – als Konsumentin – aus Büchern oder Filmen, aber erst beim Übersetzen sind mir die Feinheiten so richtig bewusst geworden. Die Aufteilung der Häuser beispielsweise. Ein großer Raum, Küchentresen und Küchenecke auf der einen, Wohnbereich auf der anderen Seite. Findet sich in Deutschland zwar auch immer häufiger, ist aber eher “typisch amerikanisch”. Oder die Jahrgangsbücher der Highschool. Das Department of Veteran Affairs. Und und und.

Natürlich freue ich mich, dass es mir gelungen ist, ein Bild der USA zu zeichnen, das Sie als Leser als authentisch empfinden – und das, ohne jemals dort gewesen zu sein. Aber wer weiß schon, wie irgendein Land “wirklich” ist? Wenn ich Berichte von Amerikareisenden höre oder lese, entsteht bei mir bisweilen der Eindruck, die Berichterstatter würden von unterschiedlichen Ländern sprechen. Das Amerikabild, das ich als Hintergrund für Berechnung entwerfe, zeigt gewiss nicht die ganze Realität, und von dem, was es zeigt, ist vielleicht auch noch die Hälfte genauso falsch wie das, was wir beim Tatort als “echte Polizeiarbeit” vorgesetzt bekommen.

Aber es funktioniert. Sie können eintauchen in eine Welt, die Ihnen bekannt vorkommt, die fremd und zugleich vertraut wirkt, ohne bei jedem Satz zu merken, dass alles allein meiner Fantasie entsprungen ist.

Was kann sich eine Autorin Schöneres wünschen?